Weisheitsgeschichten

Als die Christen die Sprache verloren

"Das sehe ich mir nicht mehr länger an!" Der ganze Himmel hielt den Atem an. Kein Geringerer als Jesus selbst hatte diesen Satz in heiligem Zorn ausgerufen.

"Da habe ich nun 33 Jahre unter den Menschen gelebt, habe ihnen xmal gesagt, dass Handeln wichtiger ist als Reden, habe mich ans Kreuz schlagen lassen dafür, ohne viel Worte zu machen. Aber viele Christen haben es nicht begriffen! Predigten werden gehalten, festliche Lieder werden gesungen, schöne Gottesdienste werden gefeiert, aber sie tun zu wenig!"

Und so beschloss Jesus, allen Christen die Sprache zu nehmen. Sie sollten kein Wort mehr über ihn reden, sondern nur noch durch ihre Taten Zeugnis von ihm geben können. Keiner konnte mehr ein Wort über Jesus sagen. Und mit einem Schlag wurde es still bei den Christen auf der ganzen Welt.

Der Papst wollte gerade auf dem Petersplatz vor mehreren tausend Menschen eine Predigt halten, aber er brachte kein Wort heraus. Im überfüllten städtischen Dom stimmte gerade die Orgel "Großer Gott, wir loben dich" an, doch niemand sang mit. Jesus hatte ihnen ja die Sprache genommen.

Ein großes Erschrecken brach über die Christen herein. Keine und keiner konnte mehr sprechen. Wie sollten sie jetzt Jesus sagen, dass sie ihn lieben - ohne Worte? Wie sollten sie ihren Mitmenschen Jesus verkünden - ohne Worte?

Nach und nach begriffen es einige: "Wenn es nicht mit Worten geht, dann müssen wir es eben mit Taten versuchen." Andere machten es ihnen nach.

Am leichtesten taten sich die, die es auch vorher nicht gewohnt waren, große Worte zu machen, sondern die einfach zugepackt haben. Besonders schwer aber hatten es diejenigen, die Jesus zwar im Gottesdienst und bei den Gebeten wortreiche Liebeserklärungen abgaben, gleichzeitig aber ihren Mitmensche durch ihre Bösartigkeit das Leben zur Hölle machten. Da fingen einige an, sich über sich selbst zu schämen - und sich zu ändern. Die großen Meister des Wortes, ganz egal, ob auf Kanzeln oder an den Stammtischen - sie wurden ganz leise und gingen in die Schule der einfachen Leute. Sie lernten dort, wie man den Glauben in die Tat umsetzt - und bewunderten die Größe der kleinen Leute.

So wurde die christliche Religion immer mehr von einer Religion der Worte zu einer Religion der Tat. Das konnte auch die Öffentlichkeit auf die Dauer nicht übersehen. Und in einer Zeitung stand die Überschrift: "Seht, wie sie einander lieben!"

Und viele Menschen fanden diesen christlichen Glauben wieder interessant, weil sie sahen, welche Kraft von ihm ausging, und sie schlossen sich ihnen an.

Als Jesus später die Sprache wieder schenkte, waren einige fast traurig. Sie hatten in dieser Zeit gespürt, welche Lebenskraft im Glauben steckt.

(Nach einer Geschichte von Heribert Arens: Gott du bist so menschlich)




Bitte besuchen Sie auch die Homepage: